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VFGH entscheidet über Wahlanfechtung






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Hallo aus dem VfGH! Der Saal ist schon gut gefüllt mit Medienleuten und Zuschauern. Um 11:30 wird die Verhandlung fortgesetzt, zunächst wird das Gericht aber noch sonstige Beschlüsse verkünden, die sich aus dem Verfahren ergeben haben. Ab 12 Uhr soll dann
die Entscheidung, ob die Wahl wiederholt werden muss, verkündet werden. -
Zur Einstimmung ein kleiner Überblick. Es deutet alles auf eine Neuwahl hin. Dafür spricht vor allem die bislang strenge Judikatur des Verfassungsgerichtshofs. Bei der Verhandlung am vergangenen Mittwoch verwies Verfassungsrichter Johannes Schnizer etwa darauf, dass es schon seit 1927 eine Rechtsprechung gibt, wonach tatsächliche Manipulationen einer Wahl nicht nachgewiesen werden müssen. Es reicht die Möglichkeit einer Manipulation. "Übrigens, diese Entscheidung war von (Hans, Anm.) Kelsen, dem Vater unserer Bundesverfassung", sagte Schnizer in der öffentlichen Verhandlung.
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Schon die Stichwahl am 22. Mai selbst war extrem spannend. Alexander Van der Bellen lag nur 30.863 Stimmen vor FPÖ-Kandidat Norbert Hofer.
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FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer gibt sich bei seinem Eintreffen schweigsam, er verweist auf die Pressekonferenz von FP-Chef Strache um 15 Uhr.
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Vor etwas mehr als drei Wochen brachte die FPÖ dann eine Wahlanfechtung ein. Auf 152 Seiten wurden die Beschwerden gesammelt. Laut FPÖ habe es in 94 von 117 Bezirkswahlbehörden Unregelmäßigkeiten gegeben.
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Der VfGH lud in den vergangenen Wochen 90 Zeugen. An fünf Tagen wurde öffentlich verhandelt. 20 Bezirke wurden genau durchleuchtet. In 18 davon konnten tatsächlich Unregelmäßigkeiten nachgewiesen werden.
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Für Grünen-Anwältin Maria Windhager waren die nachgewiesenen Unregelmäßigkeiten in den 18 Bezirken übrigens kein Grund für eine Neuwahl: „Es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass Manipulationen in relevantem Ausmaß tatsächlich stattgefunden haben oder stattfinden konnten“, sagte sie vor dem VfGH.
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Einwechslungen gibt es nur beim Fußball. Bei einer Wahlwiederholung wäre freilich der Austausch der Kandidaten verboten, sie müssen antreten - ob sie wollen, oder nicht. "Selbst wenn Hofer und Van der Bellen nicht mehr antreten wollten, müsste man ihre Namen auf den Stimmzettel schreiben, sagt Robert Stein, Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium. Freilich könnte ein gewählter Kandidat nicht gezwungen werden, das Amt auch anzutreten. Dann müsste die Wahl ganz neu ausgeschrieben werden", fasst unser Kollege und Rechtsexperte Philipp Aichinger die Situation zusammen.
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Alle Plätze im Verhandlunssaal sind belegt, noch eintreffende Zuschauer können aber in den 5. Stock ausweichen, wo die Verhhandlung übertragen wird.
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Nicht nur die nächste halbe Stunde wird spannend. Nach der Verkündung durch den VfGH geht es interessant weiter. Der Zeitplan: Schon um 12.20 Uhr wird es ein Statement von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) im Bundeskanzleramt geben. Um 12:30 Uhr stellt sich Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) den Medien. Er könnte dabei bereits einen möglichen Termin für Neuwahlen verkünden. Um 12.40 Uhr wird sich der scheidende Bundespräsident Heinz Fischer zu Wort melden.
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VfGH-Präsident Holzinger nimmt die Verhandlung wieder auf.
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Holzinger bittet um Ruhe, andernfalls drohe ein Foto-
Verbot. -
Minister Sobotka persönlich ist auch da und wird gebeten, kurz aufzustehen.
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Holzinger: Die Aussageverweigerung der Zeugen wird als gerechtfertigt anerkannt. Von weiteren Beweisaufnahmen wird abgesehen.
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Damit ist die Verhandlung bereits wieder geschlossen, die Richter verlassen den Saal.
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Nun heißt es wieder warten: Um 12 Uhr wird Holzinger die Entscheidung verkünden.
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Zwichen Van der Bellen und Hofer bestand ein Unterschied von 30.863 Stimmen. Die Rechtswidirgkeiten betrafen 77.926 Stimmen, die theoretisch Hofer allein hätten zufallen können.
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Der Wähler darf in seiner freien Wahl nicht faktisch oder rechtlich beeinträchtigt werden. Das Verfahren hat ergeben, dass die Bundeswahlbehörde ab 13 Uhr Wahlergebnisse an Medien und Institute weitergegeben hat. Das verstößt gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl. Also noch ein weiterer Grund für die Aufhebung.
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Vorab wurden Ergebnisse österreichweit veröffentlicht, angesichts des knappen Ergebnisses könnte das die Wahl beeinflusst haben.
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Grund für Aufhebung in ganz Österreich:
Warum wurde die Wahl in ganz Österreich aufgehoben? Es gibt keinen eigenen Wahlkreis für Briefwähler, daher kann man die Aufhebung nicht auf Briefwähler beschränken. Es ergibt sich erst im Zuge des Einlangens der Wahlkarten der Kreis jener, die ihre Stimmen so abgegeben haben. -
Auch eine Beschränkung auf die Bezirke, in denen es Verstöße gegeben hat, kommt nicht in Betracht. Denn eine Briefwahlstimme kann in jedem Wahlbezirk abgegeben werden. Briefwähler konnten die Karten ja auch in anderen Wahllokalen abgeben, und dort wurde sie auch gezählt.
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Zur Einordnung: Die vom VfGH angeordnete Wiederholung der Bundespräsidentenwahl ist erst die dritte auf Bundesebene und die erste österreichweite überhaupt. Bisher mussten
zwei Nationalratswahlen, nämlich 1970 und 1995, wiederholt werden, aber nur in
einzelnen Regionen wiederholt werden. In beiden Fällen hatte die FPÖ die
Wiederholung beantragt, jedes Mal verlor die ÖVP ein Mandat. -
Die Namen der Wahlkartenwähler sind außerdem zwar bei der abgegebenen Behörde erfasst, eine Überprüfung wäre aber nicht in dem Maße möglich, wie das bei Wählerverzeichnissen der Fall ist.
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Außerdem wurden im gesamten Bundesgebiet Ergebnisse rechtswidrig zu früh veröffentlicht, auch daher keine eingeschränkte Aufhebung möglich.
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Österreich, ey! http://pbs.twimg.com/tweet_video_thumb/CmRZPpUVYAAIgmF.jpg
von Jan Böhmermann via twitter 7/1/2016 10:30:48 AM -
Zum Wahltermin:
Die Bundesregierung muss nun durch Verordnung einen Wahltermin festsetzen. Die nähere Begründung für die Entscheidung des VfGH bleibt der schriftlichen Ausfertigung überlassen - sie soll so schnell wie möglich fertig werden. -
Eine persönliche Anmerkung Holzingers: Das Verfahren war eine sehr große Herausforderung, es war ein einzigartiges Verfahren in der Geschichte des VfGH. Der Präsident dankt seinen Kollegen und Mitarbeitern.
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Auch bei den Medien bedankt sich Holzinger, da sie dem Verfahren so viel Stimme gegeben haben. Denn das Verfahren sei für die gesamte Bevölkerung von Bedeutung, nicht nur für Juristen. Damit endet die Entscheidungsbegründung.
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Ein Blick über den Tellerrand:
Die Aufhebung der Wahl ist auch international Thema.
Die Neue Zürcher Zeitung schreibt: "Die unbefriedigende Konsequenz ist, dass nun für mehrere Millionen Euro eine Wahl wiederholt werden muss, deren Ergebnis nach dem sehr ernsthaften und transparenten Verfahren des Verfassungsgerichts niemand ernsthaft anzweifelt. Dem Land steht neuerlich ein polarisierender Wahlkampf bevor, der politische Kräfte absorbiert. Zudem muss Österreich mit dem peinlichen Makel leben, womöglich über Jahre im Prinzip irreguläre Wahlen durchgeführt zu haben.
Die spanische El Pais sagt: "Die FPÖ hat nicht nur eine erfolgreiche Anfechtung und eine zweite Chance, einen der Ihren an die Staatsspitze zu hieven, erreicht. Sie sieht auch ihre Strategie verstärkt, das System und ihre Institutionen in Frage zu stellen. Andererseits stellt der Richterspruch einen heftigen Schlag gegen das Image der Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Konservativen dar. Auch wenn keine Beweise für Betrug gefunden wurden, zeigten sich doch Irregularitäten bei der Auszählung."
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Die künftige Staatsspitze:
Ab 8. Juli gibt es nun also keinen Bundespräsidenten mehr. Dessen Aufgaben werden ex lege - also ohne eigene Angelobung oder ähnliches - an die Nationalratspräsidenten (Doris Bures (SPÖ), Karlheinz Kopf (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ)) als Kollegialorgan übergehen. Sprecherin des Gremiums ist die Präsidentin, also Bures. Allerdings reicht es, wenn einer der drei Präsidenten im Land ist, um Entscheidungen zu treffen. Im theoretischen Fall, dass gerade nur zwei aus dem Trio verfügbar sind und es zu einem Patt kommt, würde die Stimme des höherrangigen Präsidenten entscheiden. Das heißt, Hofer hat als Dritter Präsident immer Nachrang. -
Ein Nachtrag zum ersten Statement von Norbert Hofer: Er wird sich als Dritter Nationalratspräsident nicht karenzieren lassen. Dies wäre ein "riesen Fehler", sei doch Erfahrung, die er mitbringe, in dieser Situation von Vorteil. Hofer verwies auf Bundespräsident Heinz Fischer, der zuvor auch NR-Präsident war.
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Das Innenministerium versichert, dass es gemäß dem Spruch des VfGH bei der Wiederholung der Hofburg-Stichwahl bis zum Wahlschluss 17 Uhr keinerlei Zahlen zur Verfügung stellen wird. Ob danach Daten für die Erstellung von Hochrechnungen freigegeben werden, sei noch nicht entschieden.
Der VfGH hat ja als einen der Gründe für die Aufhebung der Wahl genannt, dass das Ministerium Einzel-Ergebnisse vor allem für die Erstellung von Hochrechnungen an ausgewählte Stellen (wie die Austria Presse Agentur) weitergeben hat. Diese wurden dann bisher mit Sperrfrist 17 Uhr an Medien weitergegeben. Das ist gelebte Praxis seit gut 20 Jahren - eine verfassungswidrige, wie sich nun gezeigt hat. Nur wurde der VfGH bisher nicht damit befasst. -
Forderungen nach einer Änderung des Wahlrechts kommen nun von allen Seiten. Neos-Chef Matthias Strolz verlangt die rasche Einsetzung einer "All-Parteien-Reformgruppe" im Parlament. Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar will die Briefwahl "neu überdenken".
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Die italienische Lega Nord freut sich mit der FPÖ: "Vorwärts Freunde! Wahrheit und Freiheit siegen am Schluss." Auch der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders zeigt sich erfreut. Er schrieb auf Twitter: "Super!!"
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Die burgenländischen Grünen geben sich optimistisch: "Wir werden gemeinsam mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Richtungen dafür kämpfen, dass Alexander van der Bellen die Stichwahl auch beim zweiten Mal gewinnt."