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Grasser Prozess 1
3rd & 7 37yd
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Guten Morgen aus dem Straflandesgericht Wien. Zwölf Tage vor Weihnachten beginnt er also, der größte Korruptionsprozess, den Österreich bislang erlebt hat. Auf der Anklagebank im Großen Schwurgerichtssaal nehmen ab heute 15 Angeklagte Platz – respektive auf ergonomisch einwandfreien Sesseln hinter modernen Schreibtischen. Diese wurden vorab extra in den größten heimischen Gerichtssaal geschafft. Die Journalisten und so mancher Besucher durften bereits eintreten (nur jene, die sich vorab angemeldet hatten und ein entsprechendes Ausweisschild vorweisen können). Zu sehen gibt es bisweilen vor allem Namenskärtchen - der frühere Finanzminister Karl-Heinz Grasser wird in der ersten Reihe der Angeklagten ganz links (aus Sicht der Zuseher) sitzen, neben ihm sein Trauzeuge Walter Meischberger, dahinter ihre Anwälte.
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Eine Reihe moderner Sitzplätze steht für Grasser, Meischberger, den Lobbyisten Peter Hochegger, den Immobilien-Tycoon Ernst Karl Plech, den ehemaligen Chef der Immofinanz, Karl Petrikovics, Ex-Immofinanz-Vorstand Christian Thornton und den Steuerberater Gerald Toifl bereit. Weiters als Beschuldigte (in diese erste Reihe) geladen sind der Vermögensberater W., der Ex-Geschäftsführer einer Raiffeisen-Firmen L., der Ex-Geschäftsführer der Raiffeisen Leasing S. und ein dortiger Abteilungsleiter, der ebenfalls mit S. abgekürzt wird.
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Alle Angeklagten teilen sich den Grundvorwurf der Untreue (mal als unmittelbarer Täter, mal als Beteiligter – es drohen bis zu zehn Jahre Haft), auch die Vorwürfe der Bestechung, Beweismittelfälschung, Geschenkannahme oder Geldwäscherei werden teils erhoben. Ebenfalls alle Genannten bekannten sich bisher „nicht schuldig“. Im Vorfeld haben manche Prozessbeobachter spekuliert, heute könnte einer der 15 "auspacken", ob das geschehen wird, bleibt abzuwarten.
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Übrigens, eine weitere Neuheit hier im größten Gerichtssaal der Republik: Hinter den modernen Reihen für Angeklagte und Verteidiger wurden noch die ersten drei (normalerweise Zuseher-)Reihen für deren Mitarbeiter freigehalten Erst dahinter ist Platz für die Medienvertreter - "Presse"-Schilder auf den Sessellehnen (Tische gibt es nicht) geben darauf einen dezenten Hinweis. Schaulustige haben indes einen Stock höher, auf der Galerie, zu sitzen – allerdings nur mit entsprechenden Platzkarten (alle vergriffen, wie eine der Platzanweiserinnen sagte), hier kennt das Graue Haus keine Ausnahmen.
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Schon unter die wartenden Journalisten gemischt hat sich übrigens der Verteidiger Michael Dohr - leicht zu erkennen, für alle, die ihn nicht kennen sollten. Er trägt stets sehr schrille, auffällige Anzüge. So auch heute -seinen Anzug zieren Geldscheine der unterschiedlichsten Farben. Sehen Sie slebst - oben ein entsprechendes Tweet von Kollege Manfred Seeh.
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Grasser-Prozess, großes Kino: Anwalt Michael Dohr im Poundsuit von Vivian Westwood! #geldscheine_am_anzug… twitter.com/i/web/status/9…von Manfred Seeh via twitter 12/12/2017 8:20:43 AM
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An dieser Stelle kurz Werbung in eigener Sache: Wir, die „Presse“, haben ein umfassendes [premium]-Dossier zum Grasser-Prozess verfasst. Alle Vorwürfe, Wendungen, Kuriositäten haben wir darin gesammelt und erklärt, gegliedert und illustriert. Auch interessant – insbesondere wohl für die 15 Angeklagten heute -, der Aspekt, wie man sich denn vor Gericht (nicht) verhalten sollte, um positiv auf die Urteilsfindung einzuwirken. Und noch einiges mehr. Den Link zum Dossier gibt es hier.
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Zurück zum Strafprozess: Während sich die Reihen im Straflandesgericht immer weiter füllen und sich lautes Gemurmel breitmacht, hier kurz die Eckdaten: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geht davon aus, dass Grasser und Co. einen „Tatplan“ verfolgt haben (und zwar, seit dieser sein Amt als Minister im Jahr 2000 angetreten ist). Dessen Inhalte: bei Privatisierungsprojekten serienweise „mitschneiden“.
Und zwar im Speziellen bei der Privatisierung der Buwog 2004. Damals soll, so schreiben die Oberstaatsanwälte Gerald Denk und Alexander Marchart in der Anklageschrift, Bestechungsgeld geflossen sein (fast zehn Millionen Euro, was einem Prozent des Buwog-Verkaufspreises entspricht). Gekommen sein soll das Geld von dem im Bieterverfahren siegreichen Österreich-Konsortium um Immofinanz und RLB OÖ – gegangen über Umwege auf diverse Konten. Die Millionenzahlung ist seit 2009 erwiesen, offen ist aber die Frage: Hat Grasser sein Insiderwissen genutzt und über seine Vertrauten entscheidende Informationen weitergegeben, um sich (und andere) zu bereichern? Er bestreitet dies bekanntlich, sieht sich als Opfer der Justiz, der Politik, der Medien. -
Damit aber nicht genug: Wie beim Buwog-Deal soll auch in der Affäre Terminal Tower ein „Tatplan“ befolgt worden sein. Und zwar: Grasser soll einen Teil der 200.000-Euro-Provision eingesteckt haben, die für die Einmietung der oberösterreichischen Finanzdienststellen in den Linzer Terminal Tower geflossen sein soll.
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Nun sind die Reihen schon dicht gefüllt, Laptops stehen bereit, Handys sind auf lautlos – oder sollten es zumindest sein. Noch kurz zur Personalia: Die Prozessleitung hat Marion Hohenecker inne. Die Kärntnerin steht einem Schöffensenat vor, bestehend aus zwei Laien und einem weiteren Berufsrichter.
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Nochmal zurück zu Richterin Hohenecker: Die 36-Jährige hatte zuletzt mit weniger schmeichelhaften Schlagzeilen zu kämpfen: Die Generalprokuratur sah sie als nicht zuständig an (Grund ist das Villa-Esmara-Verfahren; dort sollte sie über Petrikovics richten, der dann aber nicht verhandlungstauglich war; später erbte sie deswegen das Buwog-Verfahren), die Verteidigung unterstellte ihr (wegen Twitter-Einträgen ihres Ehemannes) befangen zu sein. In ersterem Fall stellte gestern, Montag, der Oberste Gerichtshof klar: Hohenecker ist und bleibt zuständig für den Grasser-Prozess. In Angelegenheit Nummer zwei stellte zuletzt das Straflandesgericht klar: Die Richterin sei ob ihres Mannes nicht befangen. Die Verteidigung sieht das freilich (immer noch) anders – und wird, so wurde angekündigt, heute weitere Nichtigkeitsgründe vortragen.
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Man hört: Alle Angeklagten sind bereits im Grauen Haus, wie das Straflandesgericht Wien auch genannt wird eingetroffen. Noch nicht alle haben sich in den Großen Schwurgerichtssaal getraut. Gleiches gilt für die Richterin; sehr wohl bereits Platz genommen haben dagegen die Staatsanwälte.
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Detail am Rande: Da die Angeklagte und ihre Anwälte mit dem Rücken zu den Journalisten sitzen, hat sich das Gericht etwas einfallen lassen: Zumindest derjenige, der im Zeugenstand Platz nimmt und dort befragt wird, wird gefilmt und sein Gesicht auf zwei Bildschirmen nach hinten übertragen - allerdings sind diese recht niedrig angebracht.
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Nun werden die Formalia geklärt. Die Verteidigung habe 46 Sitzplätze zugewiesen bekommen, erläutert Richterin Hohenecker. Das sei notwendig gewesen, denn: Man habe, aufgrund der großen Anzahl der Angeklagten, die reguläre Sitzordnung im Saal nicht aufrecht erhalten können.
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Damit muss nun Grasser in den Zeugenstand. Er muss seinen Namen und sein Geburtsdatum bestätigen. Weiters seine Adresse, seinen Familienstand und seine Arbeit. "Derzeit keinen Dienstnehmer?" - "Richtig." Er habe außerdem kein Haus und kein Auto. Zum Nettoeinkommen möchte er "keine Angaben machen", sagt Grasser.
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S. (Abteilungsleiter der Raiffeisen Leasing) ist nun dran - wir entschuldigen uns übrigens für die vielen Abkürzungen (noch dazu die vielen ähnlichen), werden uns aber bemühen, immer klar zu machen, wer nun wer ist. Einen Überblick - 15 Kurzbiografien samt Vorwürfen und Zusammenhängen - finden Sie auch in unserem Dossier.
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Alle sitzen wieder - nur Grasser-Anwalt Ainedter nicht. Er geht vor und will nun endlich etwas sagen. Er ist empört darüber, dass der Oberste Gerichtshof nur 18 Stunden vor Prozessstart die Zuständigkeit der Richterin bestätigt hat. "Ich stelle einen Antrag, den ich vortrage", sagt er. "Wir müssen Sie, liebe Frau Vorsitzende, leider ablehnen", sagt der Anwalt. "Das hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun." Er sei überzeugt, dass Hohenecker integer sei und "Ihr Bestes geben", aber: Aufgrund der "Vorverurteilung nie dagewesenen Ausmaßes", sei sie nicht tragbar - er verweist auf Hoheneckers Ehemann, der sich auf Twitter abwertend über Grasser geäußert. habe.
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